Seit rund hundert Jahren agiert der Dollar als globale Leitwährung. Diese Hegemonie ist vielen Staaten ein Dorn im Auge. Doch allen Protesten zum Trotz: Eine überzeugende Alternative ist nirgendwo in Sicht.
Geld regiert die Welt, heisst es. Doch wer regiert das Geld? Natürlich Amerika, so der Reflex. Denn geht es um internationale Transaktionen, einigt man sich meist auf den Dollar – selbst wenn das Geschäft gar nichts mit Amerika zu tun hat. Um das zu wissen, braucht es weder höhere Bildung noch edle Motive.
«Dass jeder Kidnapper, der etwas auf sich hält, das Lösegeld in Dollar haben will, liegt dermassen auf der Hand, dass man dazu nichts zu sagen braucht», schrieb einst der amerikanische Ökonom Barry Eichengreen. Er hatte selbstverständlich recht. Oder gibt es einen berühmten Kinofilm, in dem Gangster einem Koffer voller Renminbis, Drachmen oder Rupien nachjagen? Eben.
Ein dickes Bündel sogenannter Greenbacks, wie der Dollar aufgrund seiner grünen Rückseite auch genannt wird, ist für sämtliche Ganoven dieser Welt noch immer das überzeugendste Argument. Denn der Dollar wird überall anstandslos akzeptiert – ob auf weissen, grauen oder rabenschwarzen Märkten.
Ein aussenpolitischer Trumpf
Nun mehrt sich aber die Zahl der Zwischenrufer. Sie sehen den Dollar im Niedergang. Zur Untermauerung wird etwa auf den Aufholprozess der Schwellenländer verwiesen. Dabei kommt China die Rolle der neuen Supermacht zu. Im 21. Jahrhundert, vielerorts als «asiatisches Jahrhundert» bezeichnet, verschiebe sich das geo- und währungspolitische Zentrum immer stärker nach Fernost.
Wer Indizien für eine solche Zeitenwende sucht, findet sie: So forciert Peking schon seit Beginn der 2000er Jahre die Internationalisierung seiner Währung, was man durchaus als Angriff auf den Dollar verstehen darf. Zudem konkurriert die 2015 massgeblich von China ins Leben gerufene Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) offenkundig mit der Nachkriegsordnung des Bretton-Woods-Systems – mit jener Ordnung also, die den Dollar als globale Ankerwährung festigte und hierzu, quasi als Flankenschutz, auch die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds schuf.
Glaubt man den Zweiflern, beschleunigt Donald Trump den Niedergang der amerikanischen Leitwährung noch zusätzlich. Er errichtet Zollmauern und führt sein Land in einen Isolationismus, der schlecht vereinbar zu sein scheint mit dem globalen Führungsanspruch der USA und ihrer Währung.
Zudem setzt er den Dollar immer unverhohlener auch als aussenpolitische Waffe ein, derzeit etwa bei den Iran-Sanktionen: Wer sich nicht an die Boykotte der USA hält, wird vom dollarbasierten Finanz- und Zahlungssystem ausgeschlossen. Das kann sich kaum ein Staat und kaum ein Unternehmen leisten. Also gehorcht man, macht die Faust im Sack und verflucht insgeheim die Allmacht der USA.
Die Ausnutzung dieser Dollar-Abhängigkeit ist dabei kein Novum: Nach den Anschlägen des 11. September 2001 griff schon George W. Bush im «Krieg gegen den Terror» unverkrampft auf dieses Druckmittel zurück, dasselbe gilt für Barack Obama. Trump legt aber noch einen Zacken zu. Er weiss, dass es fast unmöglich ist, Finanzgeschäfte ohne jeden Bezug zum Dollar zu tätigen – und spielt diesen Trumpf selbstbewusst aus.
Man muss Donald Trump nicht mögen, um der amerikanischen Währung weiterhin die Treue zu halten.
Die Verwendung des Dollars als Waffe mag risikoreich sein. Denn je stärker die USA ihre Währung aussenpolitischen Zielen unterwerfen, desto grösser wird im Ausland der Wunsch nach einer Alternative zum Dollar. Doch die Nachrichten vom baldigen Tod des Dollars als Leitwährung sind stark übertrieben.
Die Statistiken spiegeln jedenfalls eine ungebrochene Vitalität: So werden noch immer 62 Prozent aller Währungsreserven in Dollar gehalten, der Euro vereint nur 20 Prozent, der Renminbi gar bloss 2 Prozent. Zudem werden etwa 60 Prozent des Welthandels in Dollar abgewickelt. Noch einseitiger ist die Lage am Devisenmarkt, wo der Dollar an 88 Prozent aller globalen Transaktionen beteiligt ist, weit vor dem Euro (31 Prozent).
Viele Währungspaare können nicht direkt, sondern nur über den Dollar gehandelt werden. Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigen ferner, dass sich die Dominanz des Dollars bei grenzüberschreitenden Kreditgeschäften seit der Finanzkrise gar noch verstärkt hat, vor allem für Schwellenländer.
Handfeste Vorteile für die USA
Von einem Bedeutungsverlust des Dollars kann also keine Rede sein. Man muss Trump nicht mögen, um der amerikanischen Währung weiterhin die Treue zu halten. Der Greenback weist zahlreiche Vorteile auf, die derzeit keine andere Valuta bietet. Dazu gehören vor allem die Grösse und die Liquidität des amerikanischen Finanzmarktes.
Weil der Dollar rund um den Globus rege für Zahlungen, Finanzierungen und Kapitalanlagen genutzt wird, fliesst ständig viel Geld in den Dollar. Entsprechend ist es Anlegern auch möglich, bei Bedarf grosse Summen abzuziehen, ohne dass gleich der Wechselkurs ausschlägt. Das senkt die Kosten und erhöht die Planbarkeit.
Ein weiteres Plus ist das anhaltende Vertrauen in die Institutionen des Landes, namentlich bei Fragen der Geldpolitik. Nicht zu vernachlässigen ist ferner das militärische und geopolitische Gewicht der USA; es schützt das Land und dessen Währung vor Erpressungen diverser Art.
Letztlich profitiert der Dollar aber vor allem vom Netzwerkeffekt. Dieser Effekt festigt den Status quo. Was heisst das? Weil der Dollar seit bald hundert Jahren die globale Leitwährung ist und mittlerweile von sehr vielen Akteuren verwendet wird, gibt es einen grossen Anreiz, bei der Abwicklung internationaler Geschäfte stets von neuem den Dollar zu nutzen.
Wie bei politischen Wahlen geniesst der Dollar also den Bonus des Amtsinhabers, ganz unabhängig davon, ob er besser oder schlechter ist als der Herausforderer. Dieser Bonus erinnert an die Situation bei Textverarbeitungsprogrammen: Auch dort setzt man mit Vorteil auf das Programm mit dem grössten Marktanteil.
Auf diese Weise ist am ehesten gewährleistet, dass ein über E-Mail verschicktes Dokument vom Empfänger geöffnet werden kann. Ähnlich verhält es sich mit dem Dollar, der als wichtigstes Schmiermittel der Weltwirtschaft rund um den Globus bequem «geöffnet» werden kann. Aufgrund dieses Vorteils sind auch Kryptowährungen noch weit davon entfernt, dem Dollar ernsthaft Konkurrenz zu machen.
Das Dilemma der Rivalen: Der Euro ist eine Währung ohne Staat – und der Renminbi eine Währung mit zu viel Staat.
Die Dominanz des Dollars ist vielerorts schwer zu akzeptieren, vor allem in Europa. Legendär ist der Ausruf von Valéry Giscard d’Estaing. Der frühere französische Präsident nervte sich schon in den 1960er Jahren über das «exorbitante Privileg», das Amerika aufgrund seiner Währung geniesse. In der Tat profitieren die USA handfest von ihrer Leitwährung.
Weil amerikanische Staatsanleihen von vielen Notenbanken als Reserven gehalten werden, kann sich Amerika zu tieferen Zinsen verschulden. Hinzu kommt der Gewinn aus der Geldschöpfung (Seigniorage). So kostet es den amerikanischen Staat nur 13,2 Cent, eine 100-Dollar-Note zu drucken; das Ausland muss für einen solchen Geldschein hingegen Güter oder Dienstleistungen im Wert von 100 Dollar anbieten. Grosse Vorteile haben schliesslich auch Amerikas Unternehmen.
Die USA können sich teure Währungsabsicherungen sparen, da ein Grossteil des Handels – vor allem mit Rohstoffen wie Erdöl – ohnehin in heimischen Dollars fakturiert wird. Sämtliche Versuche, etwa von Russland und China, an dieser Dominanz etwas zu ändern, haben bisher wenig bewirkt.
Das beste Leistungspaket
Alles Jammern über die Hegemonie des Dollars nützt nichts, wenn man keine bessere Alternative anbieten kann. Und diesbezüglich hat auch der Euro als globale Nummer zwei wenig zu bieten. Zwar hat die EU vergangene Woche eine Offensive lanciert, um dem Euro zu mehr internationalem Gewicht zu verhelfen und den Dollar zurückzudrängen.
Pünktlich zum 20. Geburtstag der europäischen Einheitswährung strebt Brüssel an, den Import von Energieträgern häufiger in Euro statt in Dollar abzuwickeln. Doch eine Leitwährung lässt sich nicht per Dekret verordnen. Der Entscheid fällt am Markt, und dort zeigt man sich skeptisch. Denn die Euro-Krise hat viele Konstruktionsfehler des Euro offengelegt, namentlich die fehlende Krisenfestigkeit.
Gerät das europäische Wirtschafts- und Währungsgefüge aus dem Lot, fehlt eine handlungsfähige Exekutive, die das Problem beheben kann. Als Organ existiert nur eine Ansammlung nationaler Regierungen, die im Krisenfall primär an die eigenen Wähler denken. Ein sicherer Hafen sieht anders aus.
Barry Eichengreen, der eingangs zitierte Ökonom, bringt das Dilemma der zwei grössten Rivalen des Dollars auf den Punkt: Der Euro ist eine Währung ohne Staat – und der Renminbi ist eine Währung mit zu viel Staat. An der «Staatenlosigkeit» des Euro wird sich so bald nichts ändern; das zeigen die geringen Fortschritte bei der institutionellen Stabilisierung der Währungsunion und der Widerstand der Euro-Länder dagegen, einen Teil ihrer finanzpolitischen Autonomie an Brüssel abzugeben.
Auch das Übermass an Staat im Falle Chinas – gemeint sind die autoritäre Führung, die Kapitalverkehrskontrollen und die fehlende Marktöffnung gegenüber Ausländern – wird von Pekings Kommunisten auf Gedeih und Verderb verteidigt. Solange dies so bleibt, bietet der Dollar weiterhin das beste Paket an Eigenschaften, die eine Leitwährung aufweisen muss.
Man kann die Übermacht des ungeliebten Dollars, der seiner globalen Verantwortung nicht immer gerecht wird, mit guten Gründen kritisieren. Eine überzeugende Alternative ist aber nirgendwo erkennbar.
Quelle:
https://www.nzz.ch/meinung/mit-dem-dollar-leben-lernen-ld.1442874