Chad "DCA Bitcoin" vs. Virgin "Modell-Optimierer"Eine intensive Beschäftigung mit Bitcoin kann einen einfachen Ansatz mit monatlichen Käufen schlagen. Aber zu welchem Preis?
Inspiriert durch eine Diskussion im Forum stelle ich hier die grundsätzliche Frage zur Diskussion:
Wie viel Zeit soll man optimal investieren, um auf den 3 Bitcoin-Achsen ...
(i) Privatsphäre,
(ii) Meidung von Verlustrisiken und
(iii) Rendite
... Fortschritte zu machen?
Es geht um die Entscheidung Zeit für Bitcoin vs. Zeit für das restliche Leben und die Zeitverteilung innerhalb dieser 3 Achsen.Die beiden Extreme im VergleichAn den beiden Enden des Spektrums finden wir zwei sehr unterschiedliche Charaktere:
❶
Chad "DCA Bitcoin"ⓐ
Rendite-Ansatz: Einfaches "Dollar Cost Averaging" (DCA). Er kauft jeden Monat für einen festen Betrag (z.B. 500 €) Bitcoin, komme was wolle.
ⓑ
Sicherheit: Lagert seine Bitcoin auf einer Hardware-Wallet (z.B. Ledger). Sein Backup sind die 12 Wiederherstellungswörter (Seed) auf einem Zettel in der Schreibtischschublade und ein zweiter Zettel bei seiner Mutter.
ⓒ
Privatsphäre: Nutzt einfache zentrale Börsen (CEX) für den Kauf, macht sich keine großen Gedanken über KYC ("Know Your Customer", die Offenlegung der Identität gegenüber der Börse).
❷
Virgin "Modell-Optimierer"ⓐ
Rendite-Ansatz: Versucht, die Rendite durch komplexe Modelle zu maximieren.
➤ Nutzt das
Kelly-Kriterium (eine mathematische Formel zur Optimierung der Einsatzgröße bei Wetten, hier für die Investitionshöhe).
➤ Nutzt das
Lindy-Kriterium (die Idee, dass die Lebenserwartung einer nicht vergänglichen Sache proportional zu ihrer bisherigen Lebensdauer ist; je länger Bitcoin überlebt, desto länger wird es voraussichtlich weiter existieren).
➤ Versucht, den Bitcoin-Preistrend und -Zyklus vorherzusagen.
➤ Nimmt Kredite auf, um mehr Bitcoin zu kaufen und so (hoffentlich) ein höheres Endvermögen zu erzielen.
ⓑ
Sicherheit: Geht weit über die Basics hinaus.
➤ Nutzt
Seed Signer (ein DIY-Projekt für eine extrem sichere Hardwarewallet).
➤ Nutzt
BIP 85 (ein Standard, um aus einem Haupt-Seed weitere Seeds für verschiedene Wallets abzuleiten, ohne alles neu backupen zu müssen).
➤ Verwendet
Decoy Wallets (gefälschte Wallets mit kleinen Beträgen, um bei einer Erpressung preiszugeben).
➤ Prüft regelmäßig alle Backups.
➤ Hat einen detaillierten Plan für das Vererben seiner Bitcoin.
ⓒ
Privatsphäre: Meidet zentrale Börsen strikt. Kauft nur peer-to-peer (P2P) auf Plattformen wie Bisq oder direkt hier im Forum. Ziel ist die vollständige Vermeidung von KYC, um das Risiko einer "5$-wrench-attack" (physische Erpressung, wenn ein Angreifer weiß oder vermutet, dass du viele Bitcoin besitzt) zu reduzieren.

Der Nutzen komplexer ModelleWarum betreibt der "Modell-Optimierer" diesen Aufwand? Mein eigenes Modell in Excel dient mir als Beispiel:
Modell verhindert FOMO/FUD, verzahnt meine persönlichen finanziellen Verhältnisse mit den Investitionsentscheidungen und reduziert den operativen Umsetzungsaufwand❶
Schutz vor FOMO/FUD:➤
FOMO (Fear Of Missing Out): Die Angst steigende Kurse zu verpassen. Mein Gefühl ist unzuverlässig. In der Euphorie (z.B. bei der Annahme 2022, der Preis steigt bald auf 100.000 $) würde ich vielleicht zu viel kaufen.
➤
FUD (Fear, Uncertainty, Doubt): Die Angst im Bärenmarkt (z.B. bei der Erwartung eines Crashs 2023 auf 10.000 €) würde ich evtl. zögerlich sein und Kaufchancen verpassen.
☞ Ein Modell trifft rationale, vorher definierte Entscheidungen und schaltet die Emotionen aus.
❷
Verzahnung mit den persönlichen Finanzen:➤ Ich habe ein strukturiertes Regelwerk, das meine gesamte finanzielle Situation abbildet (z.B. über 10 verschiedene Kreditverträge).
➤ Wenn sich etwas ändert (Gehaltserhöhung durch die Gewerkschaft, ungeplante Ausgaben für einen Urlaub), muss ich nur eine Zelle in Excel anpassen.
➤ Das Modell zeigt mir sofort die Auswirkungen auf meine Liquiditätsplanung und empfiehlt, wie viel ich in Bitcoin investieren kann/soll.
☞ Excel (oder wenn ich mehr Zeit hätte Python) agiert hier wie ein hochkomplexer, personalisierter Taschenrechner.
❸
Bisherige Erfolge:➤ In der Praxis habe ich meistens nur einfaches DCA gemacht. Hätte ich mich strikt an mein Modell gehalten, wäre ich wirtschaftlich besser gefahren.
➤ Das Modell hat mich vor einem Jahr dazu gebracht, meinen Bitcoin-Bestand weiter aufzubauen.
Die Schattenseite: Die OpportunitätskostenDie Kehrseite der Medaille ist der immense Zeitaufwand und evtl. verpasste Chancen im "echten" Leben.
Opportunitätskosten❶
Zeit ist eine endliche Ressource:➤ Jede Stunde, die ich in Bitcoin-Analysen, Modellpflege und Optimierung meiner Sicherheit stecke, fehlt an anderer Stelle.
➤ Diese Zeit könnte ich mit meiner Familie verbringen, Sport treiben oder anderen Hobbys nachgehen.
❷
Der fragwürdige Nutzen des zusätzlichen Vermögens:➤ Das "extra" Geld, das das Modell eventuell erwirtschaftet, brauche ich vermutlich gar nicht für mich selbst.
➤ Letztendlich müsste ich es wahrscheinlich spenden oder gemeinnützigen Organisationen zukommen lassen – was wiederum Zeit kostet.
➤ Was kann man mit Geld wirklich kaufen? "Liebe Ehefrau", "gesunde, erfolgreiche Kinder" und "Gesundheit" sind nicht käuflich. Essen und Wohnen sind in Deutschland selbst für Harz-IV-Empfänger grundsätzlich gesichert.
☞ Der persönliche Nutzen aus mehr Zeit für Gesundheit und Familie ist direkter und wertvoller als ein höherer Kontostand, den ich nicht für mich selbst verwende.
❸
Die Einfachheit als Alternative:➤ Man könnte auch einfach 100% der monatlichen Ersparnisse in Bitcoin stecken. Fertig.
➤ Verzicht auf Kreditaufnahme, komplizierte Liquiditätsrechnungen, Trendanalysen und ultra-sichere Backup-Methoden.
☞ Die gesparte Zeit ist ein sofortiger und garantierter Gewinn an Lebensqualität.
Zur Diskussion: Wo ist der Sweet Spot?Die Frage ist also nicht, ob Chad oder Virgin "recht hat", sondern wo der optimale Punkt auf diesem Spektrum für jeden Einzelnen liegt.
❶ Wie viel Sicherheit ist genug?
➤ Ist ein Seed bei der Mutter ausreichend gegen Hausbrand, oder braucht es BIP85 und Decoy Wallets gegen professionelle Erpresser?
➤ Ab welchem Portfolio-Wert lohnen sich die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen?
❷ Wie viel Rendite-Optimierung ist sinnvoll?
➤ Wann übersteigt der Zeitaufwand für Modelle den finanziellen Mehrwert?
➤ Ist der psychologische Nutzen (Frieden durch Regeln) die eigentliche Rendite?
❸ Wie viel Privatsphäre ist notwendig?
➤ Wiegt der Aufwand von P2P-Käufen ohne KYC die Reduzierung des (bereits geringen) "5$-wrench-attack"-Risikos auf?
☞ Ich lade euch ein, eure Erfahrungen und eure persönliche Balance zwischen Aufwand und Nutzen auf den drei Bitcoin-Achsen zu teilen. Wie viel Zeit investiert ihr, und wo zieht ihr die Grenze zum "restlichen Leben"?