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Wisst Ihr, was im Raum Lodigiano passiert, wo alles anfing?
Die Menschen, die die Einsatzzentrale über die Notrufnummer 118 anrufen, wo ich arbeite, bitten um Hilfe.
Aber wisst Ihr, was sie fordern?
Sie bitten einfach um Hilfe.
Sie fordern nichts.
Und unglaublicher Weise schreien sie nicht, sie drohen nicht, sie beleidigen nicht.
Sie sind höflich, sie entschuldigen sich für die Störung und warten ruhig und geduldig stundenlang, bis sie drankommen und ihnen jemand am Telefon helfen kann.
Wenn Ihr dort nicht lebt, werdet Ihr nicht gleich verstehen, warum sie so zurückhaltend und resigniert sind.
Ich schon.
Und ich versuche, es Euch zu erklären.
Eine Frau namens Lucia ruft an.
Sie lebt in einem zweistöckigen Haus.
Lucia ist 55 Jahre alt, wohnt im oberen Stockwerk und ist mit ihren beiden Kindern in Quarantäne.
Ich frage sie, wer Hilfe braucht.
Ihre Mutter, sagt sie mir, die unten wohnt.
Ich frage sie, ob sie Kontakt mit Coronavirus-Infizierten hatten.
Sie fängt an zu erzählen.
Gianni, ihr 57-jähriger Mann, liegt auf der Intensivstation und ist intubiert.
Vorgestern starb ihr Bruder Stefano, 49, auf der Intensivstation.
Nicht dieselbe Intensivstation, in die der Ehemann eingeliefert wurde, da es dort keinen Platz mehr gab, als er krank wurde.
Ihr Mann wurde vor einer Woche mit Fieber und Atemnot in einem Krankenwagen weggebracht.
Seitdem hat Lucia nichts mehr von ihm gesehen oder gehört.
Sie wartet den ganzen Tag auf einen Anruf des Stationspersonals, um zu erfahren, ob ihr Mann noch lebt oder wie es ihm geht.
Ihre Stimme zittert, als sie mir das erzählt, und ich habe nicht den Mut, sie zu unterbrechen.
Ich will ihre Geschichte nicht unterbrechen, obwohl zwanzig Anrufer nach ihr warten.
Das ist schon seit Tagen so und wird sicher noch viele Tage so weitergehen.
Am Ende atmet sie tief durch und ich habe immer noch herausgefunden, wie ich ihr nun helfen kann.
Sie sagt mir, dass sie wegen ihrer Mutter anruft.
Lucias Mutter wohnt unten.
88 Jahre alt.
Mehrere Tage lang Fieber. Körperlich schwach. Husten. Atemnot.
Sie wird ärztlich betreut.
Lucia und ihre Mutter haben Glück.
Ihr Arzt ist nicht krank oder steht unter Quarantäne.
Der Arzt hat sie vor einiger Zeit geröntgt und ihr Sauerstoff verabreicht, weil sie schlecht Luft bekam.
Sie erzählt mir, dass der Arzt ihre Mutter gerade untersucht hat und ihr rät, ins Krankenhaus zu gehen, weil er nicht mehr weiß, wie er sie zu Hause behandeln soll.
Sie fügt hinzu, dass der Arzt mit uns sprechen wollte, aber nach einer Stunde Warten am Telefon musste er weiter zum nächsten Patienten.
Ich entschuldige mich für die Wartezeit und versuche, ihr zu erklären, dass wir buchstäblich von Notrufen überflutet werden und dass wir kaum hinterherkommen, aber sie unterbricht mich und sagt:
"Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie tun schon viel zu viel."
Sie tröstet mich.
Heilige Scheiße.
Ich schlage vor, einen Rettungswagen zu schicken, der ihre Mutter ins Krankenhaus bringt.
Aber ich sage ihr, dass es dauern wird, und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie ins Krankenhaus in Lodi bringen lassen kann, wo ihr Mann im Krankenhaus liegt.
Sie unterbricht mich.
Ihre Stimme ist ruhig, aber bestimmt.
Ich habe das Gefühl, dass ich mich auf eine Diskussion vorbereiten muss. Ich bin erschöpft und egoistisch, ich will mit niemandem mehr reden, mir ist übel, weil ich immer wieder dieselben Geschichten von demselben Leid höre.
Dann denke ich daran, dass ich in einer Stunde meine Schicht beendet haben werde, und noch egoistischer male ich mir aus, dass ich bereits im Bett liege und schlafe.
Lucia erteilt mir stattdessen eine Lebenslektion, die sich auch heute noch, zwei Tage danach, in meinem Kopf und in meinem Herzen stark eingeprägt hat.
Lucia sagt mir, dass sie Mama nicht ins Krankenhaus bringen lassen will.
Sie erklärt mir, dass sie bereits einen Bruder verloren hat, ohne sich von ihm verabschieden zu können und ohne zu seiner Beerdigung gehen zu können, und dass sie ihren Mann seit zehn Tagen weder gesehen noch gehört hat.
Sie sagt mir, dass sie nicht will, dass ihre Mutter im Krankenhaus stirbt.
Sie fügt hinzu: "Ich weiß sehr wohl, dass Ihr im Krankenhaus bereits kaum bei den jungen Patienten hinterher kommt, und ich weiß sehr wohl, dass Ihr meine Mutter allein sterben lasst, wenn ich sie ins Krankenhaus schicke, weil Ihr keine Zeit habt, sie zu behandeln."
Sie sagt es ohne Vorwurf, aber mit einem Bewusstsein, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Ich schweige, weil ich weiß, dass sie vollkommen Recht hat, aber ich ihr nicht sagen kann, dass sie leider Recht hat.
Sie versteht mein Schweigen und fährt fort:
"Ich bitte nur jemanden, mir zu sagen, dass ich das Richtige tue, wenn ich sie zu Hause in Würde sterben lasse, ohne zu leiden."
Hier endet meine Geschichte.
Das ist alles, was ich erzähle.
Ich erzähle nur noch, dass Lucias Mutter eine Stunde später in ihrem Haus starb.
Vielleicht gehe ich eines Tages zu Frau Lucia, um sie zu umarmen und ihr zu sagen, dass sie das Richtige getan hat.
Denn wenn ich Vater wäre, würde ich eine Tochter wie sie haben wollen.
Frau Lucia ist nur ein Tropfen.
Ihr habt keine Ahnung, was für ein riesiges Meer von Krankheiten und Schmerzen diese Pandemie verursacht.
Und macht Euch nicht vor, dass dies anderen aber nicht Euch passieren könnte.
Wenn wir Euch bitten, zu Hause zu bleiben und Euch sagen, dass wir kurz vor dem Zusammenbrechen sind, ist das kein Scherz.
Es gibt keine Plätze mehr in Krankenhäusern, auch nicht für junge Menschen.
Wir Sanitäter werden krank, und die Epidemie breitet sich aus.
Lodi und Codogno sind kleine Städte.
Habt Ihr die Bilder der Lastwagen gesehen, die Särge nach Bergamo transportierten?
Wisst Ihr, wie viele Einwohner Mailand hat?
Die Krankenhäuser in Mailand sind bereits voll mit Patienten.
Aber keiner dieser Patienten ist in Mailand wohnhaft.
Ratet mal, woher sie kommen.
Rechnet mal nach.
Auch wenn Ihr keine Mathe-Experten seid.
Wenn diese Pandemie ernsthaft Mailand erreicht, wird das, was in Bergamo passiert, wie ein Kinderspiel aussehen.
Ich bedauere, dass ich nicht in China lebe, wo man mit der Armee alles dichtmachen kann.
Denn das wäre nötig.
Deshalb bitte ich Euch.
Ihr, die gesund seid, haltet Euch zurück.
Weil Ihr vielleicht Covid-positiv seid ohne es zu wissen, und wenn Ihr das Haus verlasst alle ansteckt.
Wir verlangen nicht viel.
Nur, dass Ihr im Haus bleibt.
Bleibt einfach zuhause. Bitte.
Wir geben nicht auf, aber helft uns und leistet Euren Beitrag.
Paolo Baldini, Sanitäter, 118.
Sale Operative Regionali dell'Emergenza Urgenza, Lombardei. <<
Die Menschen, die die Einsatzzentrale über die Notrufnummer 118 anrufen, wo ich arbeite, bitten um Hilfe.
Aber wisst Ihr, was sie fordern?
Sie bitten einfach um Hilfe.
Sie fordern nichts.
Und unglaublicher Weise schreien sie nicht, sie drohen nicht, sie beleidigen nicht.
Sie sind höflich, sie entschuldigen sich für die Störung und warten ruhig und geduldig stundenlang, bis sie drankommen und ihnen jemand am Telefon helfen kann.
Wenn Ihr dort nicht lebt, werdet Ihr nicht gleich verstehen, warum sie so zurückhaltend und resigniert sind.
Ich schon.
Und ich versuche, es Euch zu erklären.
Eine Frau namens Lucia ruft an.
Sie lebt in einem zweistöckigen Haus.
Lucia ist 55 Jahre alt, wohnt im oberen Stockwerk und ist mit ihren beiden Kindern in Quarantäne.
Ich frage sie, wer Hilfe braucht.
Ihre Mutter, sagt sie mir, die unten wohnt.
Ich frage sie, ob sie Kontakt mit Coronavirus-Infizierten hatten.
Sie fängt an zu erzählen.
Gianni, ihr 57-jähriger Mann, liegt auf der Intensivstation und ist intubiert.
Vorgestern starb ihr Bruder Stefano, 49, auf der Intensivstation.
Nicht dieselbe Intensivstation, in die der Ehemann eingeliefert wurde, da es dort keinen Platz mehr gab, als er krank wurde.
Ihr Mann wurde vor einer Woche mit Fieber und Atemnot in einem Krankenwagen weggebracht.
Seitdem hat Lucia nichts mehr von ihm gesehen oder gehört.
Sie wartet den ganzen Tag auf einen Anruf des Stationspersonals, um zu erfahren, ob ihr Mann noch lebt oder wie es ihm geht.
Ihre Stimme zittert, als sie mir das erzählt, und ich habe nicht den Mut, sie zu unterbrechen.
Ich will ihre Geschichte nicht unterbrechen, obwohl zwanzig Anrufer nach ihr warten.
Das ist schon seit Tagen so und wird sicher noch viele Tage so weitergehen.
Am Ende atmet sie tief durch und ich habe immer noch herausgefunden, wie ich ihr nun helfen kann.
Sie sagt mir, dass sie wegen ihrer Mutter anruft.
Lucias Mutter wohnt unten.
88 Jahre alt.
Mehrere Tage lang Fieber. Körperlich schwach. Husten. Atemnot.
Sie wird ärztlich betreut.
Lucia und ihre Mutter haben Glück.
Ihr Arzt ist nicht krank oder steht unter Quarantäne.
Der Arzt hat sie vor einiger Zeit geröntgt und ihr Sauerstoff verabreicht, weil sie schlecht Luft bekam.
Sie erzählt mir, dass der Arzt ihre Mutter gerade untersucht hat und ihr rät, ins Krankenhaus zu gehen, weil er nicht mehr weiß, wie er sie zu Hause behandeln soll.
Sie fügt hinzu, dass der Arzt mit uns sprechen wollte, aber nach einer Stunde Warten am Telefon musste er weiter zum nächsten Patienten.
Ich entschuldige mich für die Wartezeit und versuche, ihr zu erklären, dass wir buchstäblich von Notrufen überflutet werden und dass wir kaum hinterherkommen, aber sie unterbricht mich und sagt:
"Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie tun schon viel zu viel."
Sie tröstet mich.
Heilige Scheiße.
Ich schlage vor, einen Rettungswagen zu schicken, der ihre Mutter ins Krankenhaus bringt.
Aber ich sage ihr, dass es dauern wird, und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie ins Krankenhaus in Lodi bringen lassen kann, wo ihr Mann im Krankenhaus liegt.
Sie unterbricht mich.
Ihre Stimme ist ruhig, aber bestimmt.
Ich habe das Gefühl, dass ich mich auf eine Diskussion vorbereiten muss. Ich bin erschöpft und egoistisch, ich will mit niemandem mehr reden, mir ist übel, weil ich immer wieder dieselben Geschichten von demselben Leid höre.
Dann denke ich daran, dass ich in einer Stunde meine Schicht beendet haben werde, und noch egoistischer male ich mir aus, dass ich bereits im Bett liege und schlafe.
Lucia erteilt mir stattdessen eine Lebenslektion, die sich auch heute noch, zwei Tage danach, in meinem Kopf und in meinem Herzen stark eingeprägt hat.
Lucia sagt mir, dass sie Mama nicht ins Krankenhaus bringen lassen will.
Sie erklärt mir, dass sie bereits einen Bruder verloren hat, ohne sich von ihm verabschieden zu können und ohne zu seiner Beerdigung gehen zu können, und dass sie ihren Mann seit zehn Tagen weder gesehen noch gehört hat.
Sie sagt mir, dass sie nicht will, dass ihre Mutter im Krankenhaus stirbt.
Sie fügt hinzu: "Ich weiß sehr wohl, dass Ihr im Krankenhaus bereits kaum bei den jungen Patienten hinterher kommt, und ich weiß sehr wohl, dass Ihr meine Mutter allein sterben lasst, wenn ich sie ins Krankenhaus schicke, weil Ihr keine Zeit habt, sie zu behandeln."
Sie sagt es ohne Vorwurf, aber mit einem Bewusstsein, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Ich schweige, weil ich weiß, dass sie vollkommen Recht hat, aber ich ihr nicht sagen kann, dass sie leider Recht hat.
Sie versteht mein Schweigen und fährt fort:
"Ich bitte nur jemanden, mir zu sagen, dass ich das Richtige tue, wenn ich sie zu Hause in Würde sterben lasse, ohne zu leiden."
Hier endet meine Geschichte.
Das ist alles, was ich erzähle.
Ich erzähle nur noch, dass Lucias Mutter eine Stunde später in ihrem Haus starb.
Vielleicht gehe ich eines Tages zu Frau Lucia, um sie zu umarmen und ihr zu sagen, dass sie das Richtige getan hat.
Denn wenn ich Vater wäre, würde ich eine Tochter wie sie haben wollen.
Frau Lucia ist nur ein Tropfen.
Ihr habt keine Ahnung, was für ein riesiges Meer von Krankheiten und Schmerzen diese Pandemie verursacht.
Und macht Euch nicht vor, dass dies anderen aber nicht Euch passieren könnte.
Wenn wir Euch bitten, zu Hause zu bleiben und Euch sagen, dass wir kurz vor dem Zusammenbrechen sind, ist das kein Scherz.
Es gibt keine Plätze mehr in Krankenhäusern, auch nicht für junge Menschen.
Wir Sanitäter werden krank, und die Epidemie breitet sich aus.
Lodi und Codogno sind kleine Städte.
Habt Ihr die Bilder der Lastwagen gesehen, die Särge nach Bergamo transportierten?
Wisst Ihr, wie viele Einwohner Mailand hat?
Die Krankenhäuser in Mailand sind bereits voll mit Patienten.
Aber keiner dieser Patienten ist in Mailand wohnhaft.
Ratet mal, woher sie kommen.
Rechnet mal nach.
Auch wenn Ihr keine Mathe-Experten seid.
Wenn diese Pandemie ernsthaft Mailand erreicht, wird das, was in Bergamo passiert, wie ein Kinderspiel aussehen.
Ich bedauere, dass ich nicht in China lebe, wo man mit der Armee alles dichtmachen kann.
Denn das wäre nötig.
Deshalb bitte ich Euch.
Ihr, die gesund seid, haltet Euch zurück.
Weil Ihr vielleicht Covid-positiv seid ohne es zu wissen, und wenn Ihr das Haus verlasst alle ansteckt.
Wir verlangen nicht viel.
Nur, dass Ihr im Haus bleibt.
Bleibt einfach zuhause. Bitte.
Wir geben nicht auf, aber helft uns und leistet Euren Beitrag.
Paolo Baldini, Sanitäter, 118.
Sale Operative Regionali dell'Emergenza Urgenza, Lombardei. <<
Erzählt dem doch mal eure Verschwörungstheorien.